Es ist nicht leicht, dass Mysterium von Ostern noch zu erfahren. Geht es doch um so viel mehr, als die bunten Eier und die Schokoladenhasen. Ostern symbolisiert für uns den Sieg des Geistes über die Materie. Egal, wie nahe man dem Christentum stehen mag, dieses Fest fällt in eine Zeit, in der man an der neu aufkeimenden Natur genau das Gleiche erfahren kann. Was tot wirkte, ist in Wahrheit lebendig. Was grau war, wird grün. Was verborgen war, tritt heraus. Obwohl die meisten von uns schon viele Jahreskreise durchlaufen haben, ist es immer wieder eine Offenbarung, wenn Landschaften, die vor wenigen Tagen noch grau-braun vor einem lagen, plötzlich in zartestem Grün leuchten. Wenn Bäume, die dunkel und scheinbar starr standen, plötzlich in einen weißen oder rosafarbenen Flor gehüllt sind, der verrät, dass das Leben zurück gekehrt ist. Und die gleiche Symbolik hat auch Ostern. Der Totgeglaubte ist lebendig.
Ostern und auch Frühling können uns zeigen, dass die Dinge nicht zwingend so sind, wie sie zu sein scheinen. Sie können sich quasi über Nacht verändern, ohne dass wir etwas dazu beigetragen haben. Egal wie sehr wir uns den Frühling herbei wünschen, er kommt dann, wenn die Zeit reif ist. Wir können ihn nicht herbei befehlen. Und so ähnlich verläuft es auch in unseren Biographien. Wenn die Zeit reif ist für Veränderung, tritt sie ein. Wir können es selten beschleunigen, und schon gar nicht verhindern.
Während die Veränderungen der Natur im Normalfall für uns alle wünschenswert und oft herbeigesehnt sind, sind Veränderungen in unserem Leben oftmals gar nicht so gewünscht. Wir Menschen neigen dazu, einen Status Quo aufrecht erhalten zu wollen, selbst wenn er längst nicht mehr dienlich ist – einfach weil wir ihn gewohnt sind.
Veränderungen können Angst machen, stürzen uns in Bereiche und Situationen, die wir nicht kennen. Je mehr Widerstand wir leisten, umso schmerzhafter wird der Prozess. Doch egal, wie schmerzhaft Veränderungen in unserem Leben sein mögen, sie führen – so wir sie zulassen und vertrauen – in eine Wiederauferstehung. Vor dem Frühling kommt auch der Herbst, indem (scheinbar) alles stirbt. Und der Winter, der diesen Tod scheinbar konserviert ist oft lang und zermürbend. Erst wenn die Zeit reif ist, kommt das Leben wieder an die Oberfläche, darf und kann Neues entstehen.
So wenig wie es förderlich wäre, wenn es in der Natur nur eine Jahreszeit gäbe, so wenig ist es für uns Menschen dienlich, wenn wir immer im gleichen Modus sind. Auch wir sind der Veränderung unterworfen, die uns letztendlich immer ein Stück weiter bringt. Wenn wir bereit sind, aus unserem Erleben tiefe Erkenntnisse zu ziehen und einzutauchen in die Symbolsprache unserer eigenen Biographie, so können und dürfen wir erkennen, dass auch Schicksalsschläge durchaus ihren Wachstumsaspekt in sich tragen.
Und so können wir – auch wenn wir uns in Zeiten der Krisen und Veränderungen befinden – sicher sein, dass es auch in unserem (Er-)Leben immer wieder ein Ostern und einen Frühling geben wird. Wir Menschen sind Teil dieses ewigen Kreislaufes und somit auch seinen Gesetzmäßigkeiten unterworfen. Je mehr wir uns innerlich von all dem entfernen, desto schwerer wird es für uns, dass wir uns diesem Vergehen und Werden hingeben können.
Wir leben in einer Zeit, in der wir in grenzenloser Überheblichkeit denken, dass wir alles über Bord werfen können, das nicht unseren materiellen, meist egoistischen und fast immer kurzsichtigen Zielen unterworfen ist. Dass wir uns über alles, was uns als Menschen ausmacht, erheben und unsere Gesetzmäßigkeiten neu erfinden können – gerade so, wie es uns gefällt. Doch dies führt nicht in die Freiheit, die wir uns dadurch ersehnen, sondern in ein Abgeschnitten-Sein vom größeren Zusammenhang. Es nimmt uns Erkenntnismöglichkeiten und führt uns in eine Empfindung der Einsamkeit. Der Preis dieses Denkens ist nämlich, dass wir eine Sinn-Entleerung erleben. Denn wir Menschen können uns und unser Leben nur wirklich verstehen, wenn wir im Gewahrsam des größeren Zusammenhangs leben.
Daher ist Ostern und auch der Frühling eine Zeit, die uns – im Sinne des Größeren – Hoffnung geben kann. Eine Zeit, die zeigt, wie sehr die Dinge sich in kürzerster Zeit verändern können. Das Totgeglaubte lebt!
LIebe Manuela,
auf der Suche nach Inspiration für meine Osterkarten bin ich auf deine Seite gestoßen. Du schilderst nicht nur den Kreislauf von Leben, Tod und Auferstehung, sondern auch was es in unserer Zeit und für uns bedeuten kann. Der Text passt sehr gut in die Zeit von Corona. Die Natur zeigt uns, dass wir so nicht weitermachen können, die Ohnmacht, in die uns diese Zeit versetzt. Aber auch die Hoffnung und die Gewissheit, dass jedem Ende ein neuer Anfang folgt. (Und während ich dir das schreibe, habe ich erkannt, dass mein Kommentar die Grundlage für meinen Ostertext sein wird)
Liebe Mel, ich freue mich, wenn ich Dir etwas Inspiration liefern konnte! Danke für das Feedback.
Liebe Grüße
Manuela
Liebe Manuela,
auch ich war auf der Suche nach einem allgemeingültigen Text für die österliche Zeit. Vor allem in den Zeiten von Corona kann dein Text Mut machen und zwar nicht nur Christen sondern auch Andersgläubigen oder Atheisten.
Ich erstelle gerade wieder unsere kleine Heimzeitung für unser Seniorenheim und möchte dich fragen, ob ich unter Angabe des Verfassers, Deiner Text hierfür verwenden dürfte. Ich glaube die Senioren und ihre Angehörigen könnten dadurch etwas an Zuversicht gewinnen.
LG, Petra
Liebe Petra, sehr sehr gerne! Vielen lieben Dank dafür! Ich freue mich, wenn meine Texte inspirieren können 🙏🙏🙏🙏
Liebe Grüße Manuela